Biografía
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1995
Mich haben immer die theoretischen, politischen und kulturellen Themen interessiert, die in akademischen und nicht akademischen Kreisen besprochen werden. Trotzdem fällt es mir schwer, mein Werk aus einer rein theoretischen Sichtweise darzustellen. Zu diesem Zweck bevorzuge ich über eine Reihe von Umständen zu erzählen, die mein Leben geprägt haben, statt mein Werk mittels eines theoretischen Schemas auszulegen.
Es ist womöglich die Folge einer freiwilligen Isolation, dass mein Werdegang eine Identitätssuche zu
sein scheint, die Vereinfachungen oder Verkürzungen widersteht. Ein jeder schöpferischer Akt führt zu einer Neubestimmung des eigenen Umfelds. Mein Umfeld bestimme ich als denjenigen Raum, der den geographischen, psychologischen und politischen Rahmen umfasst, der mich umgibt. Die Wirklichkeit ist für mich eine Wahrheit, die sich gerade nicht innerhalb des Gemäldes befindet, sondern außerhalb seiner. Was ich tue ist, den unermesslichen Abgrund zu widerspiegeln, der zwischen beiden klafft.
THE JOKER
Von 1976 bis 1981 studierte ich Medizin mit der Absicht, Mediziner, Psychoanalytiker und Maler zu werden. Von diesen drei Projekten hat sich schließlich letzterer konsolidiert, zumindest auf formale Weise. In der medizinischen Fakultät untersuchte ich gemeinsam mit einer Gruppe von Studenten die Grenzen der Vernunft mit einer gewissen Intensität. Die Definition von „Wahnsinn“, die Bedeutung der Hierarchien in der Arzt-Patient-Beziehung, die Studien zur Antipsychiatrie von Ronald Laing und David Cooper sowie Jungs Theorien des Unbewussten waren Themen, die mich während dieser Jahre beschäftigten. Von 1983 bis 1988 lebte ich in Westberlin, wo ich das Institut Kunst im Kontext der damaligen Hochschule der Künste (HdK) besuchte. Dazu bewog mich nicht nur eine Anziehung zu bestimmten Perspektiven der deutschen Kunst, sondern auch das Bedürfnis, mein Land und meine Kultur aus einem in vielerlei Hinsicht entfernten Kontext neu zu bestimmen. In der Bundesrepublik der achtziger Jahre war ich mit einem Land konfrontiert, dessen Geschichte die Anfänge der zwei großen Katastrophen jenes Jahrhunderts umfasste. Ich fand eine durch eine Mauer getrennte Stadt vor, begierige Künstler, sowie eine überaus große Skepsis gegenüber den Werten der westlichen Kultur und eine ambivalente und sehr umstrittene Beziehung gegenüber den Gefahren utopischen Denkens.
Es war gerade von dieser Metropole aus, wo ich die universalistische Auslegung zu hinterfragen begann, die in der westlichen Ideenwelt überwiegt. Die Metropole, ein typisches Phänomen der Moderne, bedeutete das Trugbild eines globalen Konsenses, der sämtliche Kunsturteile umfasst, mittels derer wir Kritik ausüben und uns ein- oder ausschließen. Es war gerade dort wo mir aufgefallen ist, wie irreführend es ist, ein Zentrum als einziger Bezugsrahmen anzunehmen.
Mitten in diesem Prozess habe ich angefangen, „Ikonen“ zu sammeln, die mich dazu gedient haben, mein Umfeld auszudrücken. Üblicherweise malte ich auf einem Brett oder auf Papier, mit Acryl oder Pigmenten, die Formate abwechselnd und das Konzept des Fragments festigend. Für jede Oberfläche eine Figur. Diese Annäherung zwischen Bild und Satz habe ich später bei Goya und den mexikanischen Votivgaben („exvotos“) wiedergefunden, die als Inspiration für weitere Werke gedient haben.
Auf Reisen gehen begann ein zentraler Impuls für mein Leben und Werk zu werden. In diesem Geist entdeckte ich, dass beim Reisen etwas von einem selbst in den besuchten Orten zurückbleibt. Auf diese Weise fing ich an, parallel zur Malerei, Installationen in situ zu schaffen, die ich größtenteils aufgezeichnet habe, wie z. B. diejenigen die ich unter anderem in Berlin, Manhattan, Brighton Beach, Usbekistan, Istanbul und Villa de Leyva zurückgelassen habe.
Dieses Hin- und hergehen zwischen Bild und Wort (und Sätzen) führte mich, wie es zu erwarten war, zum Denken dieses großartigen uruguayischen Künstlers, nämlich Joaquín Torres García, und zwar zu seiner Auslegung des goldenen Schnitts, zu seiner planimetrischen Welt und zu seinem Interesse, eine Andensprache zu erschaffen.
Die Reisewege, die verschiedene Werke inspiriert haben, fassten diesen Zustand der Perplexität zusammen, in den das Reisen mich versetzte. Deshalb ist für mich das Bild des Reisenden und der Pilgerfahrt sehr wichtig, denn auf ähnliche Weise wie beim Mystiker, üben die Reise und der Reiseprozess eine Reinigungskraft auf den Reisenden aus. Die Zitate des Erzpriesters von Hita, dessen Texte ich in mehrere Gemälde aufgenommen habe, sowie die „Crónicas de Indias“, d. h. Aufzeichnungen von Reisenden in Neugranada, wurden zu Inspirationsquellen und zu Seriennamen, und werden mich weiterhin bereichern und ein Kaleidoskop von Blicken und Themen hervorrufen.
Ich denke, dass jedes Werk und jede Technik mit einer neuen Kontextualisierung, mit einer neuen Art und Weise auf die Welt zu blicken, mit einer neuen Interpretation einhergehen. Deshalb sind die Gegenüberstellung und die Wiederverwertung bestehender Elemente eine Konstante in meinem Werk. All dies fasste ich unter dem Begriff der Alchemie zusammen.
GOYA
Bei meiner Rückkehr nach Kolumbien, nach einigen Jahren in New York Anfang der neunziger Jahre, fand ich eine Situation vor, die Vielfältigkeit im Kunstmilieu, Gewalt und Dynamismus umfasste. Damals begann ich mich bewusster für Goyas Werk zu interessieren. Ich bewunderte schon immer sein Werk, doch jetzt, bei der Betrachtung seiner Radierungsfolgen Caprichos und Desastres, spürte ich, dass sie wirklicher denn je waren. Ich hatte immer den Eindruck, dass unser Umfeld sich mit diesen buffonesken und makabren, fröhlichen und verrückten Elementen von Goyas Radierungen identifiziert. Dann fing ich eine Gemäldeserie an, die ich intermittierend unterbrochen habe, auf die ich aber immer wieder zurückkomme. Dabei verknüpfe ich die Bilder der Caprichos mit Zeichen der Mochica-Kultur, die mit der Liebe, dem Tod und mit bestimmten Bekehrungsritualen zusammenhängen. Der Synkretismus, der mich seitdem nie verlassen hat, begann sich damals abzuzeichnen. Seit diesem Moment hat sich die Arbeit an Serien bereichert. Dabei kreuzen und verflechten sich manchmal die Bilder verschiedener Serien auf „zufällige“ Art und Weise, wie beispielsweise die Goya-artigen Frauen in der Serie Viajeros de la Nueva Granada, die Boschartigen Wesen bei meinen Darbietungen mancher Motive aus Dürers Werk oder die Sätze aus dem Cancionero de la Catedral de Segovia („Liederbuch aus der Kathedrale von Segovia“), die in verschiedenen Kontexten vorkommen.
Der Kautschuk (Amazonas Route)
Eine weitere Gegend, die ich 1994 bereiste und die mich dazu führte, eine Ausstellung im MAMBO (Museum für moderne Kunst Bogotá) zu veranstalten, war die Region des Amazonas. Dieser gewaltige Fluss ist für uns wie eine Trommel, wie das ferne Land, auf dem wir stehen, von dem wir aber nur sporadisch Information erhalten. Dort hat die kulturelle Mischung die Ausmaße eines Limbus angenommen.
In diesen Werken begann ich, auf Stahl zu malen, denn es gab mir die Oberfläche, die ich benötigte. Die an der Wand angelehnten Holzklotze und die auf Glas und Stahlplatten niedergeschriebenen Texte von Álvaro Mutis bildeten ein Muster, das dem weiteren Werk die Richtung gab. Die Gemäldeoberflächen verloren ihre Homogenität, ölige und matte Ecken, vergossener Schmelz auf der Leinwand und wie auf dem Bild ausgeschüttete Worte konsolidierten diese Art und Weise, mit der Malerei zu arbeiten. Statt das Durchsichtige und Reine, bewahrte ich von dieser Reise extreme Empfindungen und die Vision einer zerrissenen Utopie, von Gewalt domestizierten Landschaften, doch gleichzeitig einer einzigartigen und imposanten Natur.
Die bewegungslose Reise
Anfang der neunziger Jahre ließ ich mich in Villa de Leyva nieder. In Wahrheit wollte ich in einem vom Standpunkt der Information weniger dichten Umfeld atmen, das mich herausforderte und neue Dimensionen eröffnete. Dabei erlebte ich eine Reihe von Herausforderungen an meine Identität, die nach und nach in einem Interesse für die Literatur unterkamen.
Es war durchaus klar geworden, dass in meinem Arbeitsprozess die Zugeständnisse an das, was ich als das „Establishment“ der Kunstwelt betrachtete, erschöpft waren. Das für die neunziger Jahre charakteristische Phänomen der Wichtigkeit des Kurators als Wegweiser zum Sinn der Kunst, obwohl verständlich, entfernte mich immer weiter von diesen Szenarien. In der Literatur entdeckte ich die Fähigkeit, mich zu sehr weiten oder nahen Kontexten zu bewegen, doch immer vom Standpunkt des Betrachters. Villa de Leyva, eine im 16 Jahrhundert gegründete Stadt mit einem wichtigen historischen und archäologischen Erbe, wurde zur Textur meiner Gemälde. Von Villa de Leyva aus nahm ich Goya und Los viajeros de la Nueva Granada wieder auf. Stätten wie Ecce Homo hinterließen einen tiefen Eindruck bei mir. Die Zeit biegt, faltet, verdunkelt, doch gleichzeitig imponiert er einen Nimbus der Würde und eine ambivalente, unerlässliche Dimension gegenüber allem.
Plötzlich verschmolz alles, selbst die Technik. Der Stahl, der früher zur Darstellung des Flusses diente, verwandelte sich in Bronze, um zuerst die Caprichos von Goya darzustellen und nachher die Illustrationen der Viajeros de la Nueva Granada. Das Glas nahm immer mehr eine zentrale Rolle in meinem Werk ein, und mit ihm trat die Faszination für das Licht zutage: die Bezüge auf das Licht der Romantik, das barocke Licht und das Licht des Gnostizismus gingen mir durch den Kopf...
In diesen Serien verflechten sich die Crónicas de Indias, die Viajeros de la Nueva Granada, die Caprichos von Goya und die Hermetik. Es war befreiend, so viele Zusammenhänge zwischen scheinbar unzusammenhängenden Elementen ausfindig zu machen wie beispielsweise zwischen Robert Fludds Darstellungen der Schöpfung und der Gestalt einer von Joseph Brown gezeichneten Frömmlerin aus Santafé de Bogotá in den Anfängen Großkolumbiens. Nicht umsonst gibt es Untersuchungen über das Judentum und über El Carnero, das Buch von Rodríguez Freyle aus dem 17. Jahrhundert.
Die Hermetik
Nach und nach hat sich etwas herauskristallisiert, das nur mit der Zeit entstehen kann. Der Ansporn zur Kunsterschaffung hat sich einer hermetischen Sprache angenähert. Die Sprache, stets gegenwärtig in meinen Arbeiten, ist mehr ein Zeugnis der Stille. Der Vorliebe für die Hermetik liegt das Gefühl zugrunde, dass hinter allem, was wir wahrnehmen, etwas mehr steckt. Mich fasziniert der Gedanke, dass dieser unsichtbare, von Kräften und Veränderungspotenzialen durchdrungene Raum genauso real ist wie die Dinge, die wir mit unseren konventionellen Systemen messen.
In den Serigrafien auf Metall, bei den Oxidationsprozessen zur Herstellung des Negativbilds, ist ein Vorgang des Beschichtens, der Archäologie, des Belegens und Wiederentwickelns am Werk, bis man an einem beliebigen Punkt haltmacht. Gleiches geschieht mit der Malerei: den Stoff reißen, Stoffreste zusammennähen, deren Text neu arrangieren, den Stoff nochmals bearbeiten und dabei das Wetter, der Wind und sogar der Schwalbenmist auf dessen Oberfläche einwirken lassen, wurden zu weiteren Elementen meiner Arbeitsweise.
Anna Blume tauchte wie aus den Aschen auf, um allem in der Werkstatt Eingeschlafenen neues Leben einzuhauchen. Das war auch der Name, den ich der von mir initiierte Stiftung gab (Luisluna.co/fundacionanna), mit der es mir gelungen ist, einige gute Projekte durchzuführen: die „Route der Kunst“, Workshops zu Kulturmanagement in ländlichen Regionen und ab 2010 eine intensive Arbeit mittels der Musik mit bedürftigen Jugendlichen aus der Stadt. Anna war ebenfalls die Inspiration für das Gedicht von Kurt Schwitters, das ihren Namen trägt. Anna ist das Symbol des Gleichgewichts und ein Name, der aus mehreren Gründen in meinem Werk wiederholt auftaucht.
Merz
Der wichtigste Teil dieser Schaffensphase konsolidierte sich 2005 in der Ausstellung, die Schwitters gewidmet ist und welche Merz heißt. Dort konnte ich, geführt von der Hand dieser großartigen Figur, die sich wandelnde Welt des Werks von Kurt Schwitters darstellen und neu zusammenstellen, ein Werk nämlich, das in einer Mischung aus Erhabenem und Irdischem, aus Trivialem und Heiligem, aus Gelehrsamkeit und Dilettantismus besteht. Es war der Anfang einer Serie, die das Prinzip der Wiederverwertung von bereits bestehenden Elementen und den dilettantischen Geist zelebriert, mit denen ich mich identifiziere, immer wieder etwas mit den alten Werkzeugen unternehmend, Kontexte transformierend, verschmelzend, trennend, eine Route nämlich, die meinen künstlerischen Prozess kennzeichnet.
Branas
Branas ist ein Konzept zur Beschreibung von Membranen, die anderen, von uns unbekannten Dimensionen entsprechen, und die ein Verständnis der Stringtheorie erleichtern. Von der Serie Fludds Genesis an, habe ich allmählich Vorstellungen aus der Physik und der Astronomie in die Gemälde aufgenommen –so wie ich es anfangs mit der Dichtung und der „Crónicas de Indias“ unternahm–, denn sie wandern durch meine Bücherregale und in meinem bevorzugten Regal, immer auf der Suche nach Sinn.
Der wissenschaftlichen Spekulation wohnt jedenfalls das Bedürfnis inne, neue Räume zu erschließen und andere Denkweisen zugänglich zu machen. Über Quantenphysik, Stringtheorie und ähnliche Themen zu sprechen bedeutet für den Laien wie ich die Herausforderung einer begrifflichen Offenheit. Ansonsten würden wir in einer mittelalterlichen Hexenjagd verharren. Unterhalb der Planck-Skala zeichnet sich eine Welt ab, die unter einer anderen Logik funktioniert, die neue Symmetriebegriffe verlangt und welche unser Vermögen herausfordert, Kenntnisse zu integrieren. Es ist etwas Wunderbares, das unser Leben ermächtigt. Es ist etwas, das die Kunst nicht ignorieren darf.